1. Die Entziehung der
elterlichen Sorge gem. § 1666 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass das
körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird und der
Sorgeberechtigte nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, die Gefahr
abzuwenden, d.h. die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen
Familie verbunden ist, gem. § 1666a BGB nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf
andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.
Das Kindeswohl ist im Sinne
von § 1666 Abs. 1 BGB gefährdet bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß
vorhandenen Gefahr, dass sich bei weiterer Entwicklung ohne Intervention eine
erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG,
FamRZ 2014, S. 907 Tz. 18; BVerfG, FamRZ 2014, 1005 Tz. 28; BGH, FamRZ 2005, S.
344 (346); OLG Hamm, 8. Familiensenat, FamRZ 2004, S. 1664; Palandt-Götz, BGB,
74. Aufl., § 1666 Rz. 8).
Bei der Prüfung der Kindeswohlgefährdung
sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Art. 6 Abs. 2 S. 1
GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der
Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts,
ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann. Eine Trennung des
Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in
das Elterngrundrecht dar (BVerfG, NJW 2014, S. 2936 Tz. 17; BVerfG, FamRZ 2015,
S. 112 Tz. 22). Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt es nur dann, ein Kind von seinen
Eltern gegen deren Willen zu trennen, wenn die Eltern versagen oder wenn das
Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Dabei berechtigen nicht jedes
Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, auf der Grundlage
seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG zukommenden Wächteramts die Eltern von
der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese
Aufgabe zu übernehmen (BVerfG, FamRZ 2015, S. 112 Tz. 23BVerfG, FamRZ 2014, S.
1266 Tz. 30; BVerfG, NJW 2014, S. 2936 Tz. 18; BVerfG, FamRZ 2014, S. 907 Tz.
18). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts, gegen den Willen der Eltern
für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen (FamRZ
2015, S. 112 Tz. 23; BVerfG, FamRZ 2010, S. 713 Tz. 46; BVerfG, NJW 2014, S.
2936 Tz. 18; BVerfG, FamRZ 2014, S. 907 Tz. 18; Palandt-Götz, a.a.O., § 1666
Rz. 7). Es besteht kein Anspruch des Kindes auf “Idealeltern” (vgl. OLG Hamm,
2. Familiensenat, FamRZ 2013, S. 1994). Die Eltern, deren sozio-ökonomische
Verhältnisse, Werte und Verhaltensweisen gehören grundsätzlich zum Schicksal
und Lebensrisiko eines Kindes (vgl. BVerfG, FamRZ 2010, S. 713 Tz. 46;
Palandt-Götz, a.a.O., § 1666 Rz. 7). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern
zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß
erreichen, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder
seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre (BVerfG, FamRZ 2015, S. 112 Tz. 23;
BVerfG, FamRZ 2014, S. 1266 Tz. 30; BVerfG, NJW 2014, S. 2936 Tz. 18; BVerfG,
FamRZ 2014, S. 907 Tz. 18; BVerfG, FamRZ 2010, S. 713 Tz. 34). Die Annahme
einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden
des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher
Sicherheit voraussehen lässt (BVerfG, FamRZ 2015, S. 112 Tz. 23; BVerfG, FamRZ
2014, S. 1266 Tz. 30; BVerfG, NJW 2014, S. 2936 Tz. 18). Die Trennung des
Kindes von seinen Eltern ist allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor
nachhaltigen Gefährdungen zu schützen, und darf nur unter strikter Beachtung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (BVerfG, FamRZ 2014, S. 1266
Tz. 28; NJW 2014, S. 2936 Tz. 17).
Ämter, Gutachter und Gerichte müssen wieder lernen, dass es
für Kinder das Wichtigste ist, dass Sie bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen
dürfen. Denn so etwas wie wirkliche Liebe der Eltern, DER Grundstein für die
spätere positive Entwicklung, erfahren sie nicht in Heimen und meist auch nicht
bei sozialen Eltern.“
Bundesverfassungsgericht 1 BvR 2882/13
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